Nachdem die Behörden aktuell mehr als tausend Reichsbürger in ganz Deutschland als reellen Zustand wahrnehmen und der Brisanz ihrer Gegenwart Gewahr werden, melden sich nun auch andere Gruppen zu Wort, die nicht weiter unentdeckt bleiben wollen und auf ihr Recht Ernst genommen zu werden pochen. Eine dieser Gruppen sind die sogenannten DDR-Bürger.
Wir haben einen Bürger dieser Randgruppe treffen dürfen.
Er lebt in einer WBS/QP 71-R Plattenbauwohnung in Berlin-Marzahn und ist sogenannter DDR Bürger. Die Bundesrepublik Deutschland bezeichnet er als Besatzer und BRD-Gesetze seien für ihn nicht wirksam. Er lud uns in seine Wohnung ein, die gleichzeitig ein Staat ist, um ihn nach seinen Motiven und seinem Leben zu befragen.
Wir sind in Ost-Berlin mit Guido Domian Richter (33) an der Ecke Allee der Kosmonauten verabredet. Ein auf den ersten Blick etwas unauffälliger Typ kommt auf uns zu und winkt mit einem kleinen blauen Heftchen. Wir nehmen an, dass dies Herr Richter ist, jedoch irren wir uns: Es ist Egon, ein Freund von Herrn Richter, und laut eigener Aussage der einzige Jungpionier in Berlin.
Egon bringt uns in eine kleine Plattenbausiedlung im Berliner Bezirk Marzahn, in der Herr Richter wohnhaft ist. Vor dem Haus fallen uns mehrere Deutschlandfahnen auf. Sie umringen eine DDR-Fahne, die einsam, aber kraftvoll im Novemberwind weht. Egon wirkt spürbar erregt. “Wir wehren uns gegen dieses Schweinesystem mit allen Mitteln.”, raunt er uns zu.
Endlich stehen wir vor der Tür von Herrn Richter und klingeln. Ein sichtlich aufgeregter junger Mann öffnet die Tür und bittet uns höflich aber bestimmt in die Wohnung. “Immer hereinspaziert in die gute Stube. Fühlt euch wie Zuhause. Wollt ihr Wasser oder ‘nen Blauen Würger trinken?“ Wir entscheiden uns für das Wasser und nehmen auf dem braunen Sofa Platz, auf dessen Lehnen Spitzendeckchen drapiert sind, wie damals bei Großtante Lotti. Das Wohnzimmer wirkt wie eine Zeitreise in das Jahr 1989. Ein Bild von Erich Honecker hängt an der Wand und der Mufuti ist mit Kaffee und Kuchen eingedeckt. Kindheitserinnerungen werden wach. Herr Richter sitzt im Sessel gegenüber und weist uns an mit dem Gespräch zu beginnen, da er noch einiges zu tun hat an diesem Tag.
RedereiFM: Herr Richter, vielen Dank für die Einladung. Als erstes würden wir gern erfahren, warum Sie meinen, die DDR existiere noch?
Herr Richter: Warum sollte die DDR denn nicht existieren? Sie kennen sich wohl nicht mit der deutschen Geschichte aus. Die Aufhebung des Artikel 23 GG wurde mit Gesetz/Verordnung vom 23.9.90 am 29.9.1990 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und am 30.9.1990, rechtswirksam. Ab diesem Zeitpunkt hatte das Grundgesetz keinerlei Geltungsberechtigung mehr in diesem Bereich.
RedereiFM: Warum hat das Grundgesetz keinen Geltungsbereich?
Herr Richter: Die BRD wurde von den Alliierten mit der Unterschrift zum 2+4 Vertrag am 18. Juli 1990 aufgehoben. Darin wurde u.a. der Artikel 23 des Grundgesetzes aufgehoben, der den Geltungsbereich des Grundgesetzes regelt. Dieser Vertrag wurde von Deutschland am 13. Oktober 1990 und von den Alliierten am 15. März 1991 endgültig ratifiziert.
Herr Richter zeigt uns Dokumente und abfotografierte Aufnahmen. (Anm.)
RedereiFM: Wie kommen Sie zu den Aufnahmen?
Herr Richter: Mein Vater hat die damals gemacht. Er war Mitglied der SED und weigerte sich, zu glauben, dass die Grenzen rechtmäßig geöffnet wurden. Er glaubte bis zu seinem Tod vor fünf Jahren an die DDR und das tue ich auch. Die Beweise sprechen ja für sich.
RedereiFM: Kaum jemand weiß von ihrer Bewegung. Warum möchten Sie das ändern?
Herr Richter: Wir sind eine ganze Menge Leute. Allein in Berlin gibt es zwanzig von uns. Die Wahrheit muss ans Licht. Die Menschen verdummen doch durch die ganzen Medien. Sie müssen erfahren, dass die DDR niemals unterging. Dieses großartige, sozialistische System ist noch da. Aber die Leute sind mehr am Konsum und die damit verbundene Unterstützung der Wirtschaft interessiert, weil ihnen das so eingetrichtert wird.
RedereiFM: Kennen Sie die Reichsbürgerbewegung?
Würden Sie sagen, dass sie ihrer Bewegung ähnelt?
Herr Richter: Völliger Quatsch das Ganze. Jeder weiß, dass das Unsinn ist. Reichsbürger. Wer will denn sowas? Und doch werden die anerkannt. Mittlerweile jedenfalls. Sie haben das doch gelesen, das mit dem Reichsbürger, der einen Polizisten erschossen hat. Seitdem sind die Behörden ja alarmiert. Können die auch sein. Diese Reichsbürger sind nämlich sehr gefährlich. Außerdem sind wir keine Bewegung. Wir sind Bürger der DDR.
RedereiFM: Was unterscheidet Sie von den Reichsbürgern?
Herr Richter: Erst einmal haben wir keine Waffen. Wozu auch? Wir haben Respekt vor dem Leben, wir sind Sozialisten und keine Mörder. Wir möchten ein friedlichen Miteinander und Aufklärung. Durch Waffen schafft man doch nur Angst und Unsicherheit. Man hat ja in der Geschichte gesehen, wohin das führt.
RedereiFM: Wie möchten Sie die Leute informieren? Und was erhoffen Sie sich davon?
Herr Richter: Durch Interviews wie mit ihrem Sender beispielsweise. Unabhängige Medien, die nicht an das hiesige Scheinsystem gebunden sind. Und Flugblätter. Die muss ich jetzt auch noch fertig machen. Wir haben heute Nacht eine Verteileraktion in der ganzen Stadt. Deshalb muss ich das Gespräch jetzt auch beenden.
Es klingelt. Herr Richter läuft zügig zu Tür, um sie zu öffnen und lässt uns etwas verdutzt zurück. Als wir unsere Sachen zusammen packen, laufen einige junge Leute im Zimmer herum und begrüßen das gerahmte Bild von Honecker. Sie tragen Wollwesten und Hornbrillen, wie auf einem 80er Jahre-Event. Schüchtern lächelt uns eine Dame mit Dauerwelle um die dreißig an, als wir uns auf den Weg nach draußen machen. Herr Richter wartet an der Tür auf uns und lächelt besonnen „Danke für’s vorbei kommen. Schickt mir dann vielleicht einen Link auf meine E-Mail-Adresse, damit ich euren Artikel lesen kann.“ Wir nicken, als sich die geheime Welt der DDR-Bürger vor uns schließt und sind erstaunt, dass es damals wohl auch schon Internet gab.
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